Stell dir folgendes vor: Dein Unternehmen hat eine neue Maschine/Software angeschafft und du erhältst dazu eine Schulung. Zwei Wochen später kommt die Implementierung. Du probierst das neue Tool aus… und weißt nicht mehr, wie man es bedient. Die Pionierarbeit von Ebbinghaus zeigt, wie schnell Menschen Informationen aus Schulungen vergessen. Innerhalb einer Stunde waren durchschnittlich 50 Prozent der präsentierten Informationen vergessen, innerhalb von 24 Stunden 70 Prozent und innerhalb einer Woche 90 Prozent [1].
In einer Schulung lernen wir also Dinge, die wir (hoffentlich) zu einem späteren Zeitpunkt benötigen. Im besten Fall erinnern wir uns dann an das Gelernte – im noch besseren Fall können wir es sogar anwenden. Nicht nur dank der Forschung von Ebbinghaus, sondern auch aus der eigenen Erfahrung wissen wir, dass dies viel zu oft nicht der Fall ist.
Es gibt aber auch einen anderen Ansatz, der sich auf das Hier und Jetzt fokussiert. Die Rede ist von Performance Support. Definieren lässt sich dieser Begriff als:
“Ein Werkzeug oder eine andere Ressource, von gedruckt bis technologiegestützt, die dem Benutzer genau das richtige Maß an Aufgabenhilfe, Unterstützung und Produktivitätsvorteilen bietet – genau dann, wenn sie gebraucht wird” [2].
Nun lag der Fokus im genannten Beispiel aber leider ausschließlich auf klassischen Schulungen ganz ohne Performance Support. Die Folge daraus ist so bekannt wie ärgerlich: Während des Trainings scheint alles verständlich. Fragen können gestellt werden und ein Fehler in der Bedienung hat noch keine Auswirkungen auf das Tagesgeschäft. Ab dem Tag, an dem das Tool produktiv im Alltag genutzt wird, sieht die Welt leider ganz anders aus. Plötzlich funktioniert die Bedienung nicht mehr so reibungslos und Mitarbeitende befürchten folgenschwere Fehler zu machen.
Am Ende wird das Laufwerk nach der Anleitung durchsucht, eine Kollegin wird kontaktiert oder Google soll abhilfe schaffen. Oft führt dieses Vorgehen auch zu einer Lösung. Doch statt Zeit und Nerven auf wirklich wertschöpfende Prozesse zu konzentrieren, werden sie bei einer unbefriedigenden Arbeit verschwendet. So zeigen mehrere Studien auf, dass Mitarbeitende einen signifikanten Teil ihrer Arbeit, je nach Studie bis zu 2,5 Stunden pro Arbeitstag, mit der Suche von Informationen beschäftigt sind [3][4].
Während es sich bei Schulungen in der Regel um vordefinierte Veranstaltungen handelt, beispielsweise einstündige Sitzungen, zweitägige Workshops oder mehrmals wöchentlich stattfindende Kurse, ist der Performance Support verfügbar, wann und wo immer er benötigt wird. Die zentralen Unterschiede können nachfolgender Tabelle entnommen werden:
Schulung | Performance Support | |
Ziel | Erlernen neuer Fertigkeiten oder Vertiefen bereits vorhandener Fertigkeiten | Arbeitsaufgaben erledigen |
Wann wird es gebraucht | Wenn eine neue Fertigkeit erlernt oder aufgefrischt werden muss. In der Regel als Folge eines neuen Aufgabenbereichs | Wenn zur Erledigung der aktuellen Aufgabe eine zusätzliche Information benötigt wird |
Verfügbarkeit | Mitarbeitende werden für eine bestimmte Zeit von der Arbeit freigestellt. Dies kann eine Stunde bis zu mehreren Tagen sein | Mitarbeitenden steht nur wenig Zeit zur Verfügung, um die benötigte Information für die Aufgabenerledigung zu erhalten. Dies können wenige Minuten bis zu Sekunden sein |
Art des Inputs | Vermittlung von umfangreichen Lehrinhalten unter Einbezug didaktischer Methoden | Verwendung möglichst weniger und dafür zielgerichteter Informationen |
Bei der Auswahl geeigneter Performance Support Maßnahmen sollte dasrauf geachtet werden, dass diese benutzerfreundlich sind, kosteneffizient umgesetzt werden können und das Unternehmen als Ganzes berücksichtigt wird.
Benutzerfreundlich. Performance Support kann viele verschiedene Formen annehmen und muss nicht unbedingt digital sein. Es könnte auch ein Post-it-Zettel auf dem Schreibtisch sein, auf dem die wichtigsten Schritte eines Prozesses vermerkt sind, PDF-Checklisten oder auch aufwendige Flussdiagramme. Von zentraler Bedeutung ist, dass genau die benötigte Information im Bedarfsmoment bereitsteht – am besten so, dass sie nicht übersehen werden kann. Die Funktionalität steht hierbei im Vordergrund, die Ästhetik der bereitgestellten Informationen spielt eine untergeordnete Rolle.
Kosteneffizient. Die Einführung von Performance Support Tools ist kein Selbstzweck und sollte auf Dauer günstiger als herkömmliche Schulungsmethoden sein. Zunächst müssen wir die schwer messbaren aber bereits existierenden Kosten infolge fehlender Unterstützung am Arbeitsplatz betrachten. Damit der Aufwand für Performance Support den Nutzen nicht übersteigt, muss priorisiert werden. Es gilt die 20 Prozent der Fälle zu identifizieren und abzubilden, die 80 Prozent der vermeidbaren Arbeit nach sich ziehen.
Ganzheitlich. Funktionierende Systeme zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass Informationen schnell und unkompliziert erstellt, geteilt und aktualisiert werden (können). Im besten Fall sind Performance Support Tools so designt, dass eine möglichst große Anzahl der Mitarbeitenden im Unternehmen am Wissensaustausch teilnimmt.
Die richtige Hilfe im richtigen Moment – das klingt einfach. In der Praxis ist das bekanntlich aber nicht der Fall. Wie lässt sich Performance Support in deinem Unternehmen also umsetzen? Wie so oft im Leben geht es um den Kontext. Die zentrale Herausforderung beim Performance Support liegt darin den Arbeitskontext der Menschen im Unternehmen zu kennen. Nur wenn wir die alltäglichen Probleme der Mitarbeitenden verstehen, können wir die richtige Hilfe im richtigen Moment anbieten.
Erfahrungsgemäß liegt die Verantwortung für die Einführung eines solchen Systems aber nicht bei den Menschen, denen geholfen werden soll. Die Entscheidungen darüber liegen meist bei Personen, die nicht in den täglichen Arbeitsabläufen der Zielgruppe involviert sind. Je nach Situation sind das beispielweise Wissensmanagerinnen, Personalentwickler oder IT-Manager.
Falls du in einer vergleichbaren Rolle steckst und über den Aufbau eines Performance Support Tools nachdenkst, kommt hier ein unbequeme Erkenntnis: Du weißt in der Regel nicht, welche Hilfe deine Kollegin in der Fachabteilung tatsächlich benötigt. Das kannst du auch gar nicht, weil du schließlich nicht in an den täglichen Aufgaben der Fachabteilungen mitarbeitest. Das eigene Nichtwissen zu akzeptieren mag unangenehm sein, ist aber der erste Schritt hin zu einem erfolgreichen Performance Support. Wenn du das Nichtwissen akzeptierst, verschwindet der Druck auf Anhieb sagen zu können, welche Inhalte den Mitarbeitenden im Bedarfsmoment wirklich helfen.
Deine Aufgabe besteht also besonders darin die späteren Nutzerinnen und Nutzer des Performance Support Systems frühzeitig an Bord zu holen. Dabei sind zwei Ebenen relevant. Welche Inhalte werden benötigt und wie werden diese gefunden. Diese Fragen sind auch innerhalb eines Unternehmenes für jeden Anwendungsfall individuell zu beantworten. Daraus kann schnell ein riesiger Aufwand entstehen, der neben dem Tagesgeschäft nicht zu bewältigen ist. Darum sollte bei diesem Thema der Perfektionismus dem Pragmatismus weichen. Die Daumenregel lautet: was hilft, das hilft.
Ein aufwendig konzipiertes und liebevoll gestaltetes E-Learning Quiz mag seine Daseinsberechtigung haben. Wenn der Kollege in der Buchhaltung aber schnell die richtige Kostenstelle zuordnen soll, hilft ihm das Quiz weniger als ein entsprechender Post-it am Bildschirm.
Wie kannst du also herausfinden, welche Inhalte benötigt werden und wie diese am besten bereitgestellt werden sollen? Hilfe bei dieser Herausforderung bieten die von Bob Mosher entwickelten 5 Moments of Need [5]. Mit diesem Ansatz lässt sich der Moment des Wissensbedarfs in fünf Bereiche aufteilen. Diese lassen sich auf jede Wissensdomäne deines Unternehmens anwenden. Egal ob auf den Reklamationsprozess, das Produktsortiment oder die Spesenabrechnung.
In Kleinstunternehmen mag bereits ein digitales Notizbuch die Lösung sein. Große Konzerne haben ganze Abteilungen, die sich nur mit der Verteilung von Informationen beschäftigen. Mittelständische Unternehmen müssen einen Spagat schaffen. Insbesondere, wenn es um den Aufbau um einen Performance Support geht, sollten folgende Faktoren eine Berücksichtigung finden:
Universell im Unternehmen einsetzbar. Gerade bei Unternehmen, die durch die Beschäftigtenzahl eine überschaubare Abteilungs- bzw. Bereichsgröße aufweisen kann die Interoperabilität ein wichtiger Faktor sein. In anderen Worten: Das Performance Support Tool sollte flexibel genug sein, um auf möglichst viele Anwendungsfälle zu passen. Beim Einsatz von elektronischen Performance Support Tools sollte darüber hinaus auf die Möglichkeit der einfachen Anbindung von technischen Schnittstellen gegeben sein.
Nachhaltig nutzbar durch Wissensmanagement. Unter Wissensmanagement versteht man das Erzeugen, Speichern, Verteilen und Anwenden von Wissen. In kleineren und mittleren Unternehmen stehen für die Förderung dieser Maßnahmen oftmals sehr begrenzte Ressourcen zur Verfügung, weswegen eine möglichst effiziente Nutzung notwendig ist. Daher sollten Informationen und Wissen, welches für die Performance Support Maßnahmen aufbereitet wurde, auch für die weitere Nutzung qualifiziert werden können. Beispielsweise sollte eine gespeicherte Anleitung für eine Maschine sowohl dem Maschinenführer vor Ort als auch dem Ingenieur im Büro zur Verfügung stehen. Im Optimalfall greifen (elektronische) Performance Support Tools daher auf bestehende Information zurück, speichern diese strukturiert an einem zentralen Ort und stellen dem Anwender die relevanten Ausschnitte im Bedarfsmoment bereit.
In die Gesamtstrategie integriert. Internes Wissen wird für Unternehmen zunehmend zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor, welcher durch eine klare Wissensmanagementstrategie gestärkt werden kann. Die Einführung von Performance Support Tools sollte daher in Einklang mit den übergeordneten Zielen stehen und diese bestmöglich unterstützen.
Es gibt Fälle, in denen eine Schulung unerlässlich ist. Und es gibt die Fälle, da muss einfach die richtige Information im richtigen Moment zur Verfügung stehen – der Performance Support. Um Performance Support kosteneffizient umzusetzen, gibt es gerade für mittelständischen Unternehmen ein Zauberwort: Pragmatismus. Insbesondere am Anfang sollte daher darauf geachtet werden, die verfügbaren Ressourcen nicht auf das Erstellen von neuen Inhalten aufzuwenden, sondern bestehende Inhalte besser zu nutzen. Die Inhalte müssen an den Ort gebracht werden, wo sie von den Mitarbeitenden gebraucht werden. Wie so oft im Leben geht es hierbei um den Kontext. Nur wenn du die Arbeitssituation der Menschen kennst, kannst du sie auch dabei unterstützen.
Du möchtest mehr darüber erfahren, wie dein Unternehmen bestehende Informationen im richitgen Kontext bringen kann. Lass uns gerne gemeinsam einen Blick auf die anstehenden Herausforderungen werfen.
Referenzen:
[1] | J. Murre and J. Dros, „Replication and Analysis of Ebbinghaus’ Forgetting Curve,“ PloS one, vol. 10, no. 7, 2015. |
[2] | M. Rosenberg, „Marc My Words: Five Reasons to Use Performance Support,“ 2013. [Online]. Available: https://learningsolutionsmag.com/articles/1200/marc-my-words-five-reasons-to-use-performance-support. |
[3] | McKinsey & Company, „The social economy: Unlocking value and productivity through social technologies,“ 2012. |
[4] | K. Church, M. Cherubini and O. Nuria , „A large-scale study of daily information needs captured in situ,“ ACM Transactions on Computer-Human Interaction (TOCHI), vol. 21, no. 2, pp. 1-46, 2014. |
[5] | B. Mosher, „Bob Mosher – Founding Partner and Chief Learning Evangelist,“ [Online]. Available: https://www.5momentsofneed.com/bob-mosher.htm. |